Gründer Einsamkeit betrifft mehr Unternehmer, als man denkt – und sie kommt oft in Phasen, in denen es nach außen gut läuft. Der Kalender ist voll, das Team wächst, die Verantwortung steigt. Und trotzdem entsteht ein Gefühl von Distanz. Nicht, weil man keinen Kontakt hat – sondern weil echte Verbindung im Alltag verloren geht.
Warum Gründer Einsamkeit entsteht..
Viele Gründer rutschen schrittweise in eine Überidentifikation mit ihrem Unternehmen hinein. Nicht, weil sie das bewusst wählen, sondern weil andere Lebensbereiche im Laufe der Zeit zu kurz kommen.
Ich kenne das selbst:
Als meine Firma in der Krise stand, wurde mir klar, wie stark ich mich über mein Unternehmersein definiert hatte. Ich war Gründer, Entscheider, Problemlöser und für vieles andere blieb wenig Raum. Erst durch Coaching und das Reiss Motivation Profile habe ich erkannt, welche Lebensbereiche bei mir fast komplett unterrepräsentiert waren: Familie, Gesundheit, Freundschaften, Sport.
Das ist kein Einzelfall. Untersuchungen zeigen, dass Gründer zu den Berufsgruppen gehören, die besonders häufig über Einsamkeit berichten. Eine große Literaturübersicht („Understanding entrepreneurs’ loneliness“) wertete 163 Studien aus und kommt zu dem Ergebnis, dass Einsamkeit im Unternehmertum vor allem mit den spezifischen Rahmenbedingungen zusammenhängt: hohe Verantwortung, Unsicherheit, Entscheidungsdruck und die starke emotionale Bindung an das eigene Unternehmen.
Auch die Analyse „The many faces of entrepreneurial loneliness“ zeigt, dass Unternehmer in Phasen hoher Belastung häufiger Isolation erleben – nicht weil ihnen Fähigkeiten fehlen, sondern weil der Gründeralltag oft weniger soziale Ankerpunkte bietet und viele Entscheidungen allein getragen werden müssen.
Ein weiterer Punkt:
Viele sprechen über Ziele, KPIs, Entscheidungen – aber kaum über das, was unter der Oberfläche passiert. Man will als Gründer Sicherheit ausstrahlen. Man möchte das Team nicht belasten. Und man ist es gewohnt, Probleme selbst zu lösen. So entsteht Gründer Einsamkeit nicht durch einen Moment, sondern durch viele kleine Entscheidungen, die Verbindung Schritt für Schritt reduzieren.
Psychologisch lässt sich das u.a. gut mit der Selbstbestimmungstheorie von Deci & Ryan erklären. Sie beschreibt drei Grundbedürfnisse, die uns antreiben:
- Autonomie – der Wunsch, selbstbestimmt zu handeln.
- Kompetenz – das Gefühl, wirksam zu sein.
- Verbundenheit – das Bedürfnis nach Zugehörigkeit.
Als Gründer oder Geschäftsführer lebst du Autonomie und Kompetenz in Reinform. Du entscheidest, gestaltest, bewegst Dinge. Aber genau darin liegt der Preis: Verbundenheit geht verloren. Viele Themen kannst du mit niemandem so richtig teilen – nicht mit dem Team, nicht mit Freunden, manchmal nicht einmal mit dem Partner.
Wege aus der Gründer Einsamkeit
Eine außergewöhnliche Führungskraft sorgt dafür, dass das Team diese Stufen bewusst durchläuft. Das bedeutet: sich selbst verletzlich zeigen, Konflikte zulassen, Entscheidungen klar treffen und gegenseitige Verantwortlichkeit einfordern. Erst wenn das gelingt, entsteht ein Team, das nicht nur nebeneinander, sondern miteinander Höchstleistung bringt.
Für organisatorische Klarheit sorgen
Hier geht es nicht um schnelle Tipps. Es geht darum, wieder Strukturen und Beziehungen aufzubauen, die Verbindung ermöglichen – im Unternehmen und im eigenen Leben. Thorben Schiborowski selbstständiger scale up Coach sagt sehr treffend:
„Einsamkeit ist ein starkes Feedback. Wenn ich mich nicht mit Mitarbeitern oder Kunden verbunden fühle, stimmt oft etwas Grundsätzliches nicht – bei Werten, Haltung oder Purpose.“
Dieses Feedback lohnt es sich ernst zu nehmen.
Klarheit und Struktur als Entlastung
In Erwachsenenorganisationen reicht es nicht, Dinge einmal im monatlichen All-Hands zu sagen. Viele Gründer geraten in Einsamkeit, weil sie zu viele Themen selbst steuern. Nicht aus Kontrollbedürfnis, sondern weil Rollen und Erwartungen oft unklar sind. Je unschärfer die Verantwortlichkeiten, desto mehr läuft automatisch über den Gründer.
Klarheit in Rollen, Prioritäten und Verantwortlichkeiten schafft genau das, was im Alltag häufig fehlt: Fokus und Entlastung. Wenn jeder weiß, wofür er steht, übernimmt das Team mehr Verantwortung – und nicht mehr jede Entscheidung landet beim Gründer.
Mehr dazu: FACE-Modell – Klarheit für Fokus und Verantwortung
Transparenz ist kein „weiches Thema“. Sie schafft Vertrauen. Und Vertrauen reduziert Druck – im Team und beim Gründer.
Ein Führungsteam, das gemeinsam trägt
Ein wirksames Gegenmittel gegen Gründer Einsamkeit ist ein Führungsteam, das nicht nur ausführt, sondern wirklich mitführt. Ein Team, das Entscheidungen teilt, Konflikte offen anspricht und Verantwortung übernimmt. Wie man dorthin kommt? Durch eine klare, gesunde Führungskultur, die auf Vertrauen und Verantwortung basiert. Mehr dazu: Führungskultur etablieren
Eine hilfreiche Orientierung bieten Modelle wie die 5 Dysfunctions of a Team, weil sie aufzeigen, welche Grundlagen ein Team braucht, um ehrlich, verbindlich und leistungsfähig zu arbeiten: Vertrauen, Klarheit, Verbindlichkeit. Mehr dazu: Team Performance verbessern
Ein funktionierendes Führungsteam ersetzt den Gründer nicht – es entlastet ihn.
Und das ist einer der wichtigsten Hebel, um aus der eigenen Isolation herauszukommen.
Verletzlichkeit als Führungskraft: Warum Ehrlichkeit Verbindung schafft
Ein Aspekt, der in vielen Unternehmen unterschätzt wird: Verletzlichkeit.
Nicht als Schwäche, sondern als Führungsqualität. Viele Gründer fühlen sich einsam, weil sie immer stark wirken wollen. Doch genau das verhindert Nähe – im Team und im eigenen Umfeld.
Aus der Erfahrung vieler Coaching-Prozesse zeigt sich:
Sobald Führungskräfte anfangen, kleine Einblicke in ihre echte Gefühlswelt zu geben bewusste, reflektierte 5 %, verändert sich sofort die Dynamik im Team. Diese Idee nennen wir bei scale up die „5% Reflections Updates“: kleine Anteile Ehrlichkeit, die Verbindung schaffen, ohne Grenzen zu überschreiten.
Sie helfen dabei,
- Vertrauen aufzubauen,
- Konflikte früh zu lösen,
- Überforderung offen anzusprechen
- und Teams näher zusammenzubringen.
Mehr dazu: Superpower Verletzlichkeit
Viele Gründer merken an dieser Stelle: Man muss nicht komplett aufmachen – aber man sollte als Mensch erkennbar bleiben. Genau das schafft Nähe im Team. Und Nähe sorgt dafür, dass Einsamkeit weniger Raum bekommt.
Co-Founder:innen als Stabilitätsfaktor
Nicht jeder hat Co-Founder:innen – aber wer welche hat, weiß, was für ein Unterschied sie machen können.
Sie sind Sparringspartner, Realitätscheck und emotionale Stütze zugleich. Man teilt Verantwortung, Perspektiven und auch die Unsicherheiten, die man sonst oft mit sich selbst ausmacht. Studien zeigen: Teamgründungen sind häufig stabiler – nicht nur organisatorisch, sondern auch menschlich. Dort, wo Kommunikation funktioniert, entsteht Entlastung. Und diese Entlastung kann darüber entscheiden, ob man als Gründer irgendwann ausbrennt oder resilient bleibt.
Wie wertvoll das ist, zeigt auch Nikolais eigene Erfahrung. Nikolai Ladanyi, scale up Gründer, wollte Scaling Up nach Deutschland bringen – Vision, Energie und Klarheit waren da. Was fehlte, war der richtige Mitgründer. Jemand, der ihn ergänzt, die gleichen Prinzipien teilt und gleichzeitig mit seiner dynamischen, visionären, manchmal chaotischen Art umgehen kann. Vier Jahre lang hat es gedauert, bis er die passende Person gefunden hat. Dann traf er Ralph – und mit einem Mal war klar: Das passt. Jemand, der seine Stärken hinter den „Schwächen“ erkennt. Jemand, der denselben Drive teilt, vertrauenswürdig ist, ergänzt, stärkt und akzeptiert. Diese Partnerschaft wurde zum doppelten Turbo – fachlich, menschlich, und vor allem emotional. Sie zeigt, was ein Co-Founder leisten kann: Halt geben, Perspektive bringen und Einsamkeit reduzieren, weil man nicht mehr allein mit den großen Fragen des Unternehmertums steht.
Freundschaften, Familie und Routinen – die oft übersehene Basis
Ein weiterer Aspekt, den viele unterschätzen:
Verbindung entsteht nicht nur im Unternehmen, sondern ebenso stark außerhalb davon. Freundschaften, Partnerschaften, Familie und persönliche Routinen sind kein Gegenpol zum Unternehmertum, sondern das Fundament, das es langfristig stabil macht.
Gerade bei schnellen Wachstumsphasen leiden diese Bereiche oft zuerst. Nicht, weil man sie nicht schätzt, sondern weil alles Energie in das Unternehmen fließt. Das führt unweigerlich zu Gründer Einsamkeit – weil das private Netz fehlt, das trägt, ausgleicht und Perspektive gibt. Viele Unternehmer erleben erst dann eine Entlastung, wenn sie Strukturen schaffen, die ihnen wieder Raum für ihr privates Leben lassen.
Ein gutes Beispiel dafür ist Randolph Moreno Sommer, Gründer von FAIRFAMILY. Durch die klare Struktur und Verantwortungsverteilung, die er im scale up Coaching aufgebaut hat, konnte er eine Balance schaffen, die vorher kaum möglich war:
„Und weil ich ein Familienmensch bin, habe ich auch jetzt mehr Zeit für meine Familie und für meine Gesundheit, was mir sehr zugute kommt.“
Solche Momente entstehen nicht durch Zufall. Sie entstehen, wenn Führung bewusster gelebt wird – mit Klarheit, Delegation und Strukturen, die nicht auf Kosten des eigenen Lebens gehen. Denn am Ende geht es nicht nur um Wachstum im Unternehmen, sondern auch darum, dass der Mensch dahinter gesund bleibt und Zeit hat, was wirklich zählt.
Austausch auf Augenhöhe – statt Einzelkampf
Ein weiterer wichtiger Faktor ist Peer-Austausch. Regelmäßiger Kontakt zu Menschen, die ähnliche Herausforderungen haben, wirkt entlastend und perspektivgebend.
Ein gutes Beispiel sind die Cohorten im CEO Growth Mentorting. Viele Teilnehmer – wie Ruben Koers – sind auch danach noch mit ihren Kohorten-Kollegen in Kontakt. Weil dort echte Offenheit entsteht und man sich gegenseitig versteht, ohne viel erklären zu müssen.
Solche Gruppen ersetzen nicht das eigene Team, aber sie sind ein wertvoller Resonanzraum.
Ausblick: Gründer Einsamkeit als Hinweis – nicht als Dauerzustand
Gründer Einsamkeit ist kein persönliches Scheitern. Sie ist ein Hinweis, dass etwas wieder in Balance gebracht werden darf: Struktur, Prioritäten, Beziehungen, Austausch. Wenn man diese Signale ernst nimmt, entsteht nicht nur ein stabileres Unternehmen – sondern auch ein stabilerer Unternehmer. Und genau dort beginnt gesundes, nachhaltiges Wachstum.